SEO-Frust: Google tötet Reiseblogs (und den Rest des Internets)

SEO-Frust: Google tötet Reiseblogs

Google tötet nicht nur Reiseblogs, sondern das gesamte Internet, wie wir es kennen. In den USA ist der Aufschrei bereits groß. In der deutschen Blogosphäre (gibt es dieses Wort noch) scheint dieses Thema bisher wenig Beachtung gefunden zu haben. Was genau passiert ist, möchte ich euch am Beispiel meines Blogs verdeutlichen.

Die Geschichte dieses Reiseblogs

Schon seit Jahren nimmt die Sichtbarkeit dieses Reiseblogs bei Google kontinuierlich ab. Zum Glück ist mein Blog nur ein Hobbyprojekt. Wenn ich davon leben müsste, hätte ich bereits beim Jobcenter Unterstützung beantragen müssen.

Vor sage und schreibe 18 Jahren, genauer gesagt im Januar 2006, registrierte ich die Domain beingboring.de. Der Name basierte auf dem gleichnamigen Lied der Pet Shop Boys, meinem absoluten Lieblingslied. Bis heute denke ich, dass der Name auch wunderbar zu meiner Persönlichkeit passt.

Am Anfang habe ich in meinem Blog nur spontane Befindlichkeiten und Musiktipps veröffentlicht. SEO und Traffic haben mich nicht interessiert. Die User, die sich für meine Inhalte interessieren sollten, kamen von selbst. Die Idee, eine Website zu monetarisieren, war in diesen Kreisen ohnehin verpönt. Das war lange bevor die BWL-Fraktion das Internet entdeckte.

Wechsel zu gay-reiseblog.de

Irgendwann begann ich, in einer Onlinemarketing-Agentur zu arbeiten. Erst dort erfuhr ich von Suchmaschinenoptimierung und dass man mit einer Internetseite Geld verdienen konnte.

Der Gedanke, mit meinem Blog reich und berühmt zu werden, lag mir zwar noch fern. Aber ich hätte mich zumindest über mehr Traffic auf meiner Seite gefreut. Also begann ich gezielt über meine Reisen zu schreiben und die Inhalte für Suchmaschinen zu optimieren. Nachdem mein Blog 10 Jahre lang vor sich hin dümpelte, stieg ab 2016 die Sichtbarkeit in den Google Suchergebnissen und damit auch die Anzahl der Leser deutlich an. Ab diesem Zeitpunkt bekam ich auch die ersten Kooperationsanfragen von Hotels und Reiseveranstaltern. Im Vergleich zu professionellen Reisebloggern waren das zwar nicht viele, aber als kleiner Hobbyblogger konnte ich auf diese Weise doch einige schöne Kurzreisen unternehmen.

Nur eines passte in meinen Augen nicht mehr zu meinem Blog: Der Domainname beingboring.de. Welche Firma möchte ihre Produkte von einem Blogger präsentieren lassen, der sich selbst als langweilig bezeichnet? Ich hoffte, mit einem anderen Namen mehr Kooperationspartner gewinnen zu können. Aus Mangel an kreativen Ideen und mit Blick auf SEO wechselte ich daher 2019 auf die Domain gay-reiseblog.de. Der Domainwechsel funktionierte reibungslos und die Sichtbarkeit der Seite stieg sogar noch ein wenig an. Ich bloggte fleißig weiter. Über zwei Jahre kamen fast wöchentlich neue Blogbeiträge und Themen hinzu – bis 2021 die Sichtbarkeit des Blogs von heute auf morgen drastisch einbrach.

Sichtbarkeitsverlust

Zwar war die Sichtbarkeit auch nach diesem Einbruch für ein kleines Nischenblog immer noch überdurchschnittlich hoch. Ab diesem Tag ging es jedoch kontinuierlich bergab. Ob Google Core Update, Spam Update oder Google Product Reviews Update – bei jedem Update des Google-Algorithmus verschlechterten sich die Rankings meines Reiseblogs weiter.

Mehr als die Rankingsverluste ärgerte mich jedoch, dass mein Blog in den Suchergebnissen von deutlich schlechteren Seiten verdrängt wurde:

  • Mein seit 15 Jahren bestehendes Reiseblog wurde von nur wenige Monate alten, neuen Seiten verdrängt.
  • Auf den vorderen Plätzen bei Google standen plötzlich Seiten, die kaum Inhalte, aber umso mehr Affiliate-Links enthielten.
  • Während mein Blog ausführliche Informationen und persönliche Tipps enthielt, wurde es von Seiten mit massenhaft schlechten Übersetzungen und offensichtlich gekauften Backlinks in den Suchergebnissen überholt.
  • Sogar eindeutig gehackte Websites sind bei Google unter einige für meine Nische relevanten Keywords auf den ersten Plätzen zu finden!

Trotzdem suchte ich den Fehler weiterhin bei mir selbst:

  1. Hatte meine Seite zu wenig Backlinks?
  2. Wird das Google-Ranking durch bestimmte Backlinks negativ beeinflusst?
  3. Habe ich zu viele Keywords in meine Blogartikel gestopft?
  4. War mir beim Domainwechsel ein Weiterleitungsfehler unterlaufen?
  5. Ist meine Bloggingfrequenz zu stark zurückgegangen?
  6. Sind mir die wenigen Stockfotos, die ich benutzt habe, zum Verhängnis geworden?
  7. Gibt es Fehler bei der internen Verlinkung?
  8. Oder wurde mein Blog wegen einiger Themen und der häufigen Verwendung von Wörtern wie „gay“ und „schwul“ vielleicht sogar als Sexseite eingestuft?

Irgendwann fiel mir jedoch auf, dass andere – darunter sehr renommierte – Reiseblogs einen nahezu parallelen Sichtbarkeitsverlust aufwiesen. Somit dämmerte mir langsam, dass ich vielleicht gar keine Fehler beim Bloggen gemacht hatte, sondern dass das Problem bei Google selbst lag.

Herausforderungen im Jahr 2024

Fast foward to 2024: Das langsame Sterben der unabhängigen Websites mit Reiseinhalten hat längst begonnen. Aber mittlerweile scheint es nicht mehr möglich zu sein, eine Reise-Website zu betreiben und dauerhaft hohe Besucherzahlen zu erwarten, es sei denn, man ist ein großer Anbieter wie HolidayCheck oder TripAdvisor.

Google Updates

In den letzten Monaten gab es mehrere aufeinanderfolgende Google-Updates, die sich gegen Websites mit umfangreichen Reiseinhalten richteten. Das Helpful Content Update 2023 schien den Schwerpunkt auf einzigartige und originelle Inhalte zu legen. Es wurde empfohlen, Reiseerfahrungen aus erster Hand zu teilen, um in der Google-Suche weit oben zu erscheinen. Für einige Websites schien das zu funktionieren, zumindest eine Zeit lang. Bei meinem Blog konnte ich leider keine Veränderung feststellen.

Fest steht jedoch: Man kann also nicht mehr einfach über ein Thema bloggen und erwarten, dass es gut rankt. Nein, sagt Google: Schreibe nur über Dinge, die du persönlich erlebt hast!

Reddit in den Suchergebnissen

Immer mehr Suchergebnisseiten von Google enthalten – zumindest in den USA – Treffer von Reddit. Die Betreiber des Diskussionsforums haben mit Google einen 60-Millionen-Dollar-Deal mit Google abgeschlossen. Dieser erlaubt es dem Suchmaschinenbetreiber, Daten von Reddit zum Training seiner KI-Modelle zu nutzen. Darüber hinaus testet Google derzeit erweiterte Snippets für die Ergebnisse von Reddit, das in den Suchergebnissen ohnehin schon omnipräsent ist.

Diese Entwicklung führt dazu, dass die wertvollen und oft einzigartigen Inhalte von Reisebloggern in den Suchergebnissen weiter nach unten gedrängt werden.

Bedrohung durch Google AI

Aber es kommt sogar noch schlimmer: Am 28. März 2024 stellte Google sein neues integriertes Reiseangebot in SGE (Search Generative Experience) vor. SGE ist bisher nur in den USA verfügbar. Dabei handelt es sich um eine Funktion von Google, die das Sucherlebnis durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen verbessern soll. So sollen Nutzerinnen und Nutzer beispielsweise die Möglichkeit erhalten, selbst Reiseführer zu erstellen, indem sie Googles KI befragen. Dazu werden verschiedene Datenquellen wie Websites, Karten, Bewertungen und Fotos von Menschen aus der ganzen Welt genutzt.

Das Unternehmen erhofft sich dadurch mehr kontextbezogene Daten über die Kaufabsichten und -gewohnheiten der Nutzer, die mit seinen Werbeplattformen synchronisiert werden können. Außerdem sollen die Nutzer davon abgehalten werden, auf Websites von Drittanbietern zu surfen.

Für Reiseblogger bedeutet dies allerdings eine existenzielle Bedrohung ihres Geschäfts, insbesondere wenn sie von organischem Suchmaschinenverkehr abhängig sind, was bei den meisten Reiseblogs der Fall ist. Denn die KI-Antworten von Google werden in den Suchmaschinen ganz oben angezeigt. Die organischen Suchergebnisse rutschen dadurch auf den Suchergebnisseiten noch weiter nach unten als bisher. Ironie der Geschichte: Die Tipps der KI basieren auf dem Fachwissen und der jahrelangen Erfahrung der Reiseblogger – denn Google trainiert seine KI mit Hilfe von Reiseblogs. Amerikanische Blogger laufen deshalb bereits Sturm gegen diese Praxis.

Fazit

Die Funktion von Google ist nicht mehr die einer Suchmaschine. Denn Wikipedia definiert eine Suchmaschine wie folgt:

Eine Suchmaschine ist ein Programm zur Recherche von Dokumenten, die in einem Computer oder einem Computernetzwerk wie z. B. dem World Wide Web gespeichert sind. Nach Erstellung einer Suchanfrage, oftmals durch Texteingabe eines Suchbegriffs, liefert eine Suchmaschine eine Liste von Verweisen auf möglicherweise relevante Dokumente…

https://de.wikipedia.org/wiki/Suchmaschine

Mittlerweile ist Google nur noch daran interessiert, die Leute auf die eigenen Produkte zu lenken, statt gute Inhalte zu veröffentlichen.

Google erfüllt nicht mehr die Funktion einer legitimen Suchmaschine, die das Web durchsucht und Inhalte aus allen Quellen findet, die mit der Suche des Nutzers in Zusammenhang stehen. Stattdessen ist die Google-Suche nur noch eine Werbeplattform für andere Google-Produkte.

Und spätestens wenn Google SGE eines Tages auch nach Deutschland kommt, werden diese Inhalte auch hierzulande den sorgfältig kuratierten und erfahrenen Reiseblogs den Rang ablaufen.

3 Gedanken zu „SEO-Frust: Google tötet Reiseblogs (und den Rest des Internets)

  1. Hallo Mario,

    zunächst einmal: Es stimmt nicht, dass die deutschsprachige Blogosphäre sich des Problems nicht bewusst ist. Praktisch alle, mit denen ich rede, schildern die gleichen Probleme. Viele Reiseblogger sind ja auch in Facebookgruppen organisiert, in denen das aktuell eines der grössten Themen ist. Zudem haben verschiedene Reiseblogger (darunter auch ich, siehe Link im Kommentar) Artikel zum Thema geschrieben.

    Ich glaube, dass es eher Resignation ist. Das Gefühl, dass wir gegen die Übermacht der Megabetriebe wie Google keine Chance haben. Deswegen lassen sich viele die feindliche Übernahme gefallen. Das finde ich schade, denn meiner Meinung nach sollten wir Reiseblogger unsere Restsichtbarkeit nutzen, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Denn dass die Google-Suche immer schlechter wird, haben inzwischen viele bemerkt. Aber was man tun kann, wissen die wenigsten.

    Was aber kann man tun? Zunächst einmal alternative Suchmaschinen nutzen und bewerben. Duckduckgo und Startpage funktionieren noch so, wie Google vor dem Qualitätszusammenbruch. Dort findet man noch sorgfältig recherchierte Inhalte.

    Zweitens sollten wir als Blogger alternative Distibutionskanäle suchen. Ich frage mich, ob man nicht eine eigene Blogger-KI trainieren könnte, die Leuten, die gerne Blogs und andere liebvoll zusammengestellte Inhalte lesen, bei der Suche hilft.

    Drittens sollten wir die Stimme erheben dafür, dass kleine Publikationen bezahlt werden müssen, wenn die Inhalte fürs Training von KI benutzt wird/wurde. Das ist ja letztich nichts anderes als eine krasse Verletzung des Urheberrechts. Mir schwebt da etwas vor wie die VG Wort.

    Und viertens sollten wir uns fragen, ob etwas derartig Wichtiges wie eine Suchmaschine in den Händen einer Privatfirma mit offensichtlichen Intressenskonflikten bleiben darf. Meiner Meinung nach müsste es eine europäische, gebührenfinanzierte Suchmaschine geben. Wobei das womöglich bereits zu spät ist.

    Bin gespannt, was du denkst. Und ich verlinke deinen Artikel gerne unter meinem.

    Gruss,
    Oli

  2. Hallo Oli,

    vielen Dank für deinen Kommentar. Erstmal freue ich mich zu lesen, dass ich nicht alleine bin. Allerdings habe ich im deutschsprachigen Internet bisher so gut wie keine Beiträge über dieses Thema gefunden. Auch in den Reiseblog-Facebookgruppen, in denen ich Mitglied bin, habe ich darüber nichts gelesen. Magst du vielleicht Links zu diesen Gruppen posten? Auf Twitter/X folge ich dagegen zahlreichen amerikanischen SEOs, Bloggern und Nischenseitenbetreibern. Dort ist die Empörung groß. Mittlerweile berichten auch schon große Medien wie die New York Times über das Thema. Und seit gestern kommen ja auch noch die Google Leaks hinzu -spannende Zeiten.

    Eine Alternative zu Google sehe ich leider noch nicht. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und neigt dazu, bei vertrauten Produkten und Dienstleistungen zu bleiben. Auch wenn es andere Suchmaschinen gibt, die vielleicht datenschutzfreundlicher sind oder spezielle Funktionen anbieten, hat Google durch sein umfassendes Angebot und die Integration in viele Lebensbereiche eine Vormachtstellung erreicht, die nur schwer zu durchbrechen ist. Ich habe in den letzten Monaten auch andere Suchmaschinen getestet und war mit den Suchergebnissen leider nie zufrieden. Die größten Chancen, eine breite Masse an Nutzern anzusprechen und eine Alternative zu Google zu werden, sehe ich bei ChatGPT. Aber auch davon würden wir Blogger leider nicht profitieren.

    Viele Grüße,
    Mario

  3. Hallo Mario,

    Such mal die U1000-Reiseblogger-Gruppe. Da sind etwa 600 deutschsprachige Reiseblogger vertreten und das Thema kam in den letzten Monaten immer wieder auf. Aber du hast recht: In Form von Artikeln kam bisher wenig. Das liegt vielleicht auch daran, dass viele Reiseblogger nicht gerne über politische Themen sprechen.

    Das mit den Alternativen würde ich nicht so sehen. Es ist ja tatsächlich so, dass Google in den letzten ein, zwei Jahren Marktanteile verloren hat. Ich habe irgendwo gelesen, dass es etwa vier Prozent sind. Auch bei mir auf dem Blog sehe ich, dass nicht nur der Anteil von Bing, Duckduckgo usw. deutlich zunimmt, sondern auch die Zugriffe in absoluten Zahlen. Es gibt also offensichtlich nicht so wenige Leute, die umsteigen.

    Und das hängt auch mit der Qualität der Suche zusammen. Musste man vor zwei, drei Jahren den besseren Datenschutz bei den Google-Alternativen mit schlechteren Suchresultaten erkaufen, bieten sie heute oftmals relevantere Resultate. Zumindest für das, was ich suche. Deswegen fiel es mir zuletzt auch leicht, die Standard-Suchmaschine zu wechseln.

    Gruss,
    Oli

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