In den USA macht derzeit ein kurioser Trend Schlagzeilen, der sich „Kurzzeit-Schwule“ (englisch: „short-term gay“) nennt. Dabei handelt es sich um heterosexuelle Männer, die sich selbst als heterosexuell definieren, aber kurzfristig homosexuelle Erfahrungen machen – und diese seltsamerweise auf äußere Umstände zurückführen.
Insbesondere der US-Bundesstaat Utah geriet ins Rampenlicht, nachdem mehrere Fälle bekannt wurden. Dort erklärten überraschte Ehemänner ihren Partnerinnen, sie seien auf einer Reise „vorübergehend schwul“ gewesen. Zu Hause seien sie aber natürlich wieder streng heterosexuell.
Phänomen Kurzzeit-Schwule erklärt: Ausrutscher mit absurden Ausreden
Konkret geht es um Männer, die seit Jahren in einer heterosexuellen Beziehung leben, dann aber einen Seitensprung mit einem Mann gestehen müssen. Statt dies als Bisexualität oder Experimentierfreude zu verstehen, gaben sie bizarre Erklärungen ab.
Ein Fall, der viral ging: Ein 29-jähriger Mann aus Utah gab zu, auf einer Geschäftsreise Sex mit einem männlichen Kollegen gehabt zu haben. Auf die entsetzte Frage seiner 28-jährigen Freundin, ob er nun schwul oder bisexuell sei, antwortete er, er sei nur „kurz schwul geworden“ und schuld daran sei die dünne Höhenluft in Utah. Das Hotel, um das es ging, lag einige hundert Meter höher als sein Zuhause; große Höhen könnten schließlich das Denken und die Gefühle beeinflussen, behauptete er süffisant. Zurück auf Meereshöhe – so seine Logik – sei er wieder der alte Hetero.
Auch wenn diese Geschichte absurd klingt, blieb der Mann zunächst bei seiner Version. Er beharrte darauf, „unfreiwillig und vorübergehend homosexuell“ gewesen zu sein, und konnte seine Partnerin anfangs tatsächlich beschwichtigen. Sie wollte ihm glauben, dass ein äußerer Faktor – in diesem Fall das Bergklima – ihn „verändert“ habe. Doch schließlich erkannte sie wie die meisten: Ehebruch bleibt Ehebruch, egal ob mit einer Frau oder einem Mann. Sie trennte sich von ihm, nachdem er keinerlei Einsicht zeigte und ihr sogar Bigotterie vorwarf, weil sie seine seltsame Ausrede nicht akzeptieren wollte.
Soziale Hintergründe: Utah, Religion und Tabus
Warum gerade Utah? Utah gilt als konservativ geprägter Bundesstaat, in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung der Mormonenkirche angehört. Traditionelle Familienwerte werden groß geschrieben, offene Homosexualität war lange ein Tabu. Auch wenn sich die Zeiten ändern, ist das gesellschaftliche Klima vielerorts noch von klassischen Rollenbildern geprägt. In einem solchen Umfeld steht für manche Männer viel auf dem Spiel, wenn es um ihre sexuelle Identität geht. Heteronormative Normen – also die Annahme, jeder sei „von Natur aus“ heterosexuell – üben Druck aus. Ein Mann, der in diesem Milieu homoerotische Neugier oder Bedürfnisse verspürt, kann starke kognitive Dissonanzen erleben: Auf der einen Seite das eigene Begehren, auf der anderen Seite die erlernte Überzeugung, dass „ein Hetero so etwas nicht tut“.
Hinzu kommt die religiöse Prägung. In konservativ-religiösen Kreisen gilt Homosexualität oft als Sünde oder zumindest als unerwünschte Neigung, die es zu überwinden gilt. Viele gläubige Männer versuchen daher, homosexuelle Impulse zu unterdrücken oder vor sich selbst zu verleugnen. Sollte dennoch etwas passieren, ist die Versuchung groß, die Schuld auf äußere Umstände zu schieben („es war der Alkohol“, „ich wurde verführt“ usw.), anstatt sich mit der eigenen Bisexualität auseinander zu setzen. Im Fall Utah bot die Höhenlage eine scheinbar scherzhafte, aber für den Betroffenen bequeme Ausrede: Er konnte behaupten, etwas Außergewöhnliches habe ihn „vom rechten Weg abgebracht“, anstatt seine Identität in Frage zu stellen.
Psychologische Aspekte: Verdrängung, Rechtfertigung und Identität
Aus psychologischer Sicht illustriert der Trend der „Kurzzeitschwulen“ Phänomene wie Verdrängung und Rationalisierung. Die betroffenen Männer haben eine Tat begangen, die nicht zu ihrem Selbstbild („Ich bin hetero“) passt. Um die innere Spannung zu reduzieren, greifen sie zu teilweise abenteuerlichen Erklärungsmodellen. Das klassische Konzept der kognitiven Dissonanz besagt: Wenn Verhalten und Selbstbild in Widerspruch geraten, versuchen Menschen entweder, ihr Verhalten zu ändern – oder ihr Selbstbild bzw. die Wahrnehmung ihres Verhaltens umzudeuten. Hier wird letzteres deutlich: Statt sich als bisexuell zu begreifen oder den Seitensprung einfach als Ausrutscher zu akzeptieren, erfinden sie eine äußere Ursache, die ihre Hetero-Identität unberührt lassen soll.
Manche Psychologen verweisen auch auf innere Konflikte und internalisierte Homophobie. Ein Mann, der insgeheim bisexuelle Neigungen hat, diese aber zu verleugnen gelernt hat, könnte in einer schwachen Stunde doch danach handeln – und sich später umso heftiger davon distanzieren. Indem er seine Homosexualität als vorübergehenden „Fremdkörper“ darstellt, muss er sein Selbstbild langfristig nicht ändern. Er bleibt in seinen Augen ein „normaler“ (heterosexueller) Mann, der nur eine kurze Anomalie erlebt hat.
Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Sexualität und Identität
Alles in allem bietet der Trend „kurzzeitig schwul“ viel Diskussionsstoff. Er zeigt, wie facettenreich Sexualität ist und wie sehr starre Identitätskategorien manchmal versagen. Vielleicht regen diese Fälle dazu an, mehr über männliche Bisexualität und Heteroflexibilität zu sprechen, ohne gleich zu verurteilen. Am Ende bleibt eine Erkenntnis: Offenheit und Ehrlichkeit helfen mehr als jede noch so kreative Ausrede.