Wer meinem Instagram-Account folgt, hat es vielleicht schon mitbekommen: Seit einem Jahr betreue ich eine Gruppe von Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak. Ein guter Zeitpunkt, um zusammenzufassen, was ich in der Zeit gelernt habe. Welche Vorurteile haben sich in Luft aufgelöst – und welche haben sich bestätigt?
Zu Beginn dieses Artikels muss ich gestehen, dass ich vor meiner ehrenamtlichen Tätigkeit selbst Vorurteile gegenüber muslimischen Menschen hatte. Das Grund dafür lag auf der Hand: Ich kannte nicht einen einzigen Muslim! Mein aufgeklärter Verstand sagte mir zwar, dass es in der Realität sicher anders aussieht. Und übrigens sind nicht alle Flüchtlinge aus unserer Gruppe Muslime: Einiger unserer neugewonnen Freunde sind auch Jesiden oder Christen.
Sind alle Muslime religiös?
Die meisten Muslime, die ich kennengerlernt habe, sind genauso religiös, wie wir Christen – nämlich gar nicht. Ob Tag oder Nacht, ich habe in den letzten zwölf Monaten viel Zeit mit ihnen verbracht und noch nicht einen von ihnen beten sehen. Zu Ramadan haben drei oder vier von ihnen gefastet – aber ich kenne auch Leute, die Weihnachten feiern und trotzdem keine fundamentalen Christen sind. Zwei von Ihnen haben das Fasten übrigens gleich nach ein paar Tagen wieder aufgegeben, da es in deisem Jahr zur Ramadan-Zeit sehr heiß in Deutschland war. Und ich kenne sogar Muslime, die gar nicht wussten, wann überhaupt Ramadan ist.
Trinken alle Muslime keinen Alkohol?
Die Frage beantwortete sich schon wenige Wochen nach unserem Kennenlernen von selbst – auf unserer gemeinsamen Silvesterparty. Da wir zu Silvester noch nichts vor hatten, beschlossen wir, unsere Flüchtlinge – überhaupt erst zum zweiten Mal – zu uns nach Hause einzuladen. Am nächsten Morgen waren unser Vorrat an Whiskey- und Vodka-Flaschen leer und mein Auto vollgekotzt.
Dieselben drei Personen, die sich zu Ramadan an die Fastenregeln gehalten haben, sind die einzigen Muslime aus unserer Gruppe, die keinen Alkohol trinken. Sie stören sich aber nicht daran, wenn andere Personen in ihrer Gegenwart Alkohol trinken. Auf Partys trinken sie dann eben Cola, Fanta oder Saft – sonst ändert sich nichts.
Schütteln Muslime Frauen die Hände?
Auch hier wurde ein Vorurteil widerlegt: Ich habe noch keinen Muslim getroffen, der einer Frau den Handschlag verweigert hat. Frauen aus unserem Familien- und Freundeskreis werden ganz normal mit Handschlag begrüßt, unsere Mütter oder enge Freundinnen gerne auch zur Begrüßung oder zum Abschied in den Arm genommen.
Den ultimativen Härtetest hatte ich mit einem Flüchtling bei einem Termin in einer urologischen Gemeinschaftspraxis, die von einem Arzt und einer Ärztin geleitet wird. Ich selbst hatte bis zu diesem Zeitpunkt nur Termine bei dem männlichen Arzt – bei unserem gemeinsamen Besuch hatte dieser jedoch Urlaub. Die gesamte Wartezeit über machte ich mir Gedanken, wie und wann ich meinem muslimischen Schützling mitteilen sollte, dass er gleich vor einer Frau die Hosen runterlassen muss und von ihr zwischen den Beinen untersucht wird. Erst, als wir schon im Behandlungsraum saßen und die Ärztin in jedem Moment das Zimmer betreten konnte, verriet ich es ihm. Doch meine Sorgen waren wie immer unbegründet: „Kein Problem“, sagte er ein wenig verwundert über meine Bedenken. Die Untersuchung durch Urologin und Arzthelferin verlief ohne weitere Zwischenfälle….
Auch beim Schwimmkurs gibt es mit den weiblichen Trainerinnen keinerlei Probleme.
Sind Muslime homophob?
Wer es beim Lesen dieses Blogs noch nicht bemerkt hat: Der Schreiber dieser Zeilen ist schwul und lebt mit einem Mann in einer eingetragenen Partnerschaft. Natürlich machte ich mir vor der Übernahme meines Ehrenamtes über diesen Punkt die meisten Gedanken: Wie würden die muslimischen Flüchtlinge reagieren, wenn sie herausfinden, dass ich schwul und mit einem Mann verheiratet bin? Sind nicht alle Muslime homophob? Immerhin schubst der IS gerne schwule Männer von Hausdächern! Zwar stellte ich ihnen meinen Partner bereits nach zwei Wochen bevor, bezeichnete ihn gegenüber meinen Schützlingen jedoch vorerst lieber neutral als „my friend“ (Deutsch sprach zu diesem Zeitpunkt noch keiner von ihnen).
Zu Weihnachten und Silvester luden wir die Jungs zum ersten Mal zu uns nach Hause ein. Zwar fragten Sie bei ihrem ersten Besuch, ob wir in dem Haus mit Frauen lebten, doch wir erklärten, dass wir keine Frauen hätten und gemeinsam wie ein Ehepaar in dem Haus lebten. Daraufhin war das Thema scheinbar für alle erledigt und wir widmeten uns dem Essen. Mittlerweile haben sie auch viele andere schwule Freunde von uns kennengelernt. Und auch unter den anderen Flüchtlingen scheint sich unsere Homosexualität herumgesprochen zu haben. Kürzlich wurde ich von einem Muslim, den ich nur vom sehen kannte gefragt: „Wie geht es Deinem Mann?“. Und ein anderer wollte sogar wissen, ob wir auch auf dem Standesamt gewesen ist. Nicht ein Muslim aus unserem Umfeld hat sich als schwulenfeindlich erwiesen. Sie umarmen und knuddeln uns zue Begrüßung. Und wenn ich mich an Ihrer Tür verabschiede, geben Sie mir Grüße für meinen Mann mit auf den Weg.
Essen alle Muslime kein Schweinefleisch?
Dies ist eigentlich das einzige Vorurteil, welche sich als wahr entpuppt hat: Ich habe in den letzten 12 Monaten noch keinen Muslim getroffen, der Schweinefleisch ist. Ich habe jedoch den Eindruck, dass dies weniger aus religiösen Gründen, sondern vielmehr kulturell bedingt geschieht. Vielleicht kann man es mit Deutsch vergleichen, die in China sicherlich auch nur in Ausnahmefällen Hundefleisch essen würden.
Vom Essen abgesehen, haben unsere muslimischen Schützlinge jedoch kein Problem mit Schweinefleisch: Es stört sie nicht, wenn auf der Grillplatte im Griechischen Restaurant der Hühnchenspieß auf einem Berg von Schweinefleisch-Gyros liegt. Und H. fasst beim Praktikum als Koch das Schweinefleisch an und bereitet es zu – nur das Abschmecken muss dann halt der Kollege übernehmen.
Die freundlichsten Menschen, die ich jemals kennenlernen durfte
Ganz gleich, ob Muslim, Jeside oder Christ: Alle Flüchtlinge, die ich in den letzten zwölf Monaten kennenlernen durfte, gehören mit großem Abstand zu den freundlichsten Menschen, die ich in meinem ganzen Leben getroffen habe. Durch ihren guten Einfluss haben mein Mann und ich uns sogar zuhause angewöhnt, ständig Bitte und Danke zu sagen. Bin ich bei unseren Jungs zuhause oder mit Ihnen unterwegs, muss ich stets als erster durch die Tür gehen. Sie würden niemals vor mir ein Gebäude oder ein Zimmer betreten oder verlassen. Ich habe sogar versucht, sie vor mir durch die Tür zu schieben, aber Widerstand ist zwecklos! Nur in meinem eigenen Haus habe ich sie inzwischen dazu überredet, vor mir durch die Tür zu gehen!
Größter kultureller Unterschied: Hausschuhe
Der größte kulturelle Unterschied zwischen uns Deutschen und Menschen aus dem arabischen Lebensraum lauerte an völlig unerwarteter Stelle: Dem Tragen von Hausschuhen!
Unsere Schützlinge kämen niemals auf den Gedanken, ein Haus oder eine Wohnung mit Straßenschuhen zu betreten! Diese werden an der Türschwelle abgestreift und die Hausschuhe übergestreift. Auch innerhalb der Wohnung wird dann noch einmal gewechselt: In den Hausschuhen werden nur der Flur, die Küche und das Badezimmer betreten. Wenn die Jungs Ihre WG-Zimmer betreten, streifen die auch die Hausschuhe wieder geschwind ab.
Westliche Besucher dürfen Wohnung und Schlafzimmer jedoch auch in Straßenschuhen betreten. Im Gegenzug haben wir sie dahingehend erzogen, auch unser Haus mit Schuhen zu betreten. Wenn ich nicht aufpasse, sitzen sie jedoch wieder nur mit Socken an den Füßen in unserem Wohnzimmer ;-)
Fazit
Die Entscheidung, zum ersten Mal in meinem Leben ehrenamtlich tätig zu werden und Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak zu betreuen, war eine der besten meines Lebens. Ich habe in den vergangenen 12 Monaten nicht eine negative Erfahrung gemacht. Ob Muslime, Jesiden oder Christen – die Flüchtlinge, welche in seit meiner ehrenamtlichen Tätigkeit kennenlernen durfte, zählen zweifelsohne zu den höflichsten und freundlichsten Menschen auf diesem Planten.
Es wäre schön, wenn sich viel mehr Deutsche um die Integration von Flüchtlingen widmen würden. Ich den vergangenen Monaten habe ich gelernt, dass Integration nur dann richtig funktonieren kann, wenn Flüchtlinge und Deutsche gemeinsam voneinander lernen. Wie man an meinen Erlebnissen erkennen kann, sind die kulturellen Unterschieder sehr gering. Und darüberhinaus macht das Zusammeleben auch noch jede Menge Spaß!
1 Gedanke zu „Vorurteile, die sich bei meiner Betreuung von muslimischen Flüchtlingen in Luft aufgelöst haben“